Communität
Christusbruderschaft Selbitz

Schwester Martina Stieber

Bild von Schwester Martina

Gott, du mein Gott,
dich suche ich!

Das fehlende Puzzleteil

Gott, du mein Gott, dich suche ich - so beginnt der 63. Psalm. Im Sommer 2017 fällt er mir buchstäblich vor die Füße. An der Nordsee, in einer Inselkirche schlage ich das Gesangbuch auf und lande bei diesen Worten. Und mir kommen die Tränen. Einordnen konnte ich das nicht. Mich hat es damals eher irritiert, verstört. Ich habe das Buch relativ schnell wieder zugemacht und bin gegangen. Dass Gott mich durch diese Worte hindurch meinen könnte, dass das ein persönliches Reden Gottes mit mir war, ist mir damals als Möglichkeit noch nicht mal in den Sinn gekommen. Ich fuhr von der Nordsee also wieder zurück in meinen Alltag. Alltag bedeutete: München, großer Freundeskreis, tolle Arbeitsstelle, Patenkinder und mit Oberbayern eine Gegend, in der ich mich sehr wohl und beheimatet fühlte. Von außen betrachtet hätte man gut sagen können: da fehlt gerade eigentlich nichts. Doch mir hat etwas gefehlt. Immer. Und nach diesem fehlenden Puzzleteil habe ich gesucht und gesucht. In Beziehungen, in Ehrenämtern, in Freundschaften. in wechselnden Jobs. Doch egal wie schön die Menschen und Dinge waren, die ich gefunden habe oder die mir begegnet sind, das Gefühl "irgendwas fehlt" ist geblieben.

Über Silvester 2017/2018 war ich im Gästehaus in Selbitz zu einer Silvesterfreizeit. Dass ich Silvester mal freiwillig im Kloster verbringen würde, hätte ich wohl in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Aber ich habe die Communität durch einen Prädikantenkurs kennengelernt und plötzlich hat mich, beim Durchblättern des Jahresprogramms, dieses Angebot von einer Silvesterfreizeit förmlich angesprungen und nicht mehr losgelassen. Der Jahreswechsel 2017/2018 war aus verschiedenen Gründen für mich eine schwere Zeit. In dieses Tagen um den Jahreswechsel herum, fand eine Noviziatsaufnahme in einem öffentlichen Abendgebet statt. Ich saß in der letzten Reihe, die künftige Novizin ging nach vorne und wurde gefragt, ob sie in der Christusbruderschaft weiter leben möchte, den Schritt ins Noviziat gehen will usw... und plötzlich sind die Fragen zu meinen Fragen geworden. Gott hat sie mir einfach vor die Füße geworfen. Und da lagen sie nun. Und haben mir Angst gemacht. Große Angst. Denn ich hab gespürt: da steckt Wahrheit drin. In dieser (wie ich empfunden habe) unverschämten Frage Gottes, ob das nicht auch meine Lebensform sein könnte, war eine für mich ganz tiefe Wahrheit zu spüren. Und das hat meine Angst noch größer gemacht. Erzählt habe ich erstmal niemandem etwas bis die schlaflosen Nächte mich fast um den Verstand gebracht haben. In einem Gespräch mit einer Schwester habe ich so Worte gehört wie "das hört sich für mich erst einmal gar nicht verrückt an.", "wenn ein Anruf Gottes nicht auch irrtiert oder Angst macht, wäre das eher ein Grund skeptisch zu werden", "es ist völlig normal wie es dir geht". Mit Abstand betrachtet gute Worte, in diesem Moment haben sie mich allerdings noch mehr verwirrt, denn es bedeutete ja: das ist nicht alles meine Einbildung oder eine Spinnerei, sondern vielleicht tatsächlich ein Weg, den es zu pürfen gilt. Trotzdem wollte ich erst einmal weg. Ich fuhr von Silvester wieder zurück nach München und habe insgeheim ein wenig gehofft, dass diese Frage Gottes durch den Ortswechsel wieder verblasst oder sich auflöst. Doch das Gegenteil ist passiert. Ich bin in meinem Alltag ständig über diese Frage, die Gott mir vor die Füße geworfen hat, gestolpert. Immer und immer wieder. Und die Spannweite meiner Gefühle war groß. Meine Angst war groß und ich war vor allem wütend auf Gott. Ich wollte mein Münchner Leben nicht hergeben. Und doch hat mich etwas gelockt, was ich damals noch nicht in Worte fassen konnte.

Nach vielen Gesprächen, vielem Ringen mit Gott und mir selbst, habe ich mich im Februar 2018 entschieden die Worte auszusprechen, dass ich Kandidatin der Christusbruderschaft werden möchte. Den inneren Frieden danach kann ich kaum in Worte fassen. Auf einmal war es in mir still. Kein Kreisen mehr, sondern das tiefe Gefühl etwas gefunden zu haben, wo ich es nie gesucht hätte. "Gott, du mein Gott, dich suche ich" - diese Worte sind plötzlich in meiner Erinnerung wieder aufgetaucht und auch mein tiefes Berührt-Sein in diesem Moment in der Inselkirche. Ein weiter Bogen, den Gott da geduldig gespannt hat. Der Psalm 63 ist mir deshalb zum Wegbegleiter geworden. Er drückt so sehr die Sehnsucht nach Gott, nach einem Leben in Tiefe und Beziehung mit Gott aus und weiß zugleich um die Schwere des Lebens, um Zeiten, in denen es dürr und wüst ist und Gott weit weg scheint. Und dennoch kann er bekennen, dass er in allem und trotz allem Schutz bei Gott findet, dass seine Seele an ihm hängt und dass er Gott loben will, ein Leben lang.

Ob mir das gelingen wird, ob es dem Psalmbeter tatsächlich gelungen ist, Gott ein Leben lang (und immer) zu loben? Ich weiß es nicht, aber dass ich das möchte, mir das aus tiefstem Herzen wünsche, das weiß ich. In allem und trotz allem, was auch an Dunklem zum Leben in dieser Welt gehört, möchte ich genau so leben. Als Suchende und Fragende, mit Zweifeln und Hoffnung und einer großen Lust auf Leben. Und in Gemeinschaft. Mit Menschen, die genauso Gottsucherinnen sind, ihn ins Spiel bringen in Gesprächen und Begegnungen und Gott an Orte und zu Menschen bringen, wo er vielleicht gar nicht vermisst wird. So miteinander auf dem Weg zu sein stillt eine tiefe Sehnsucht in mir. Und macht mich glücklich. Und das letzte Kapitel unserer Regel entlastet mich auch bei der Frage, ob mir das immerzu gelingen wird, denn dort steht unter der Überschrift Hoffnung: "Du wirst die Berufung immer nur bruchstückhaft leben. Gib dich mit deinen Gaben und Grenzen Gott hin, er wird die Bruchstücke vollenden. Halte die Spannung des Reiches Gottes aus: Es ist da und kommt doch erst. Du wirst mit der Berufung die Fülle kosten und doch die Leere aushalten. Willige ein! Heute schon sollst du Zeichen des Neuen sein und immer wieder auch selbst Zeichen des Neuen erfahren. Zeichen - nicht mehr, aber auch nicht weniger."