Berufungsportrait - Portrait! Wer hat es gezeichnet, wer hat angefangen, wer weitergemalt, bunt? Wer hat mir schon ganz früh gesagt, dass es einen gibt, Jesus, der unendlich liebt? Hat wohl meine Großmutter schon die erste Skizze gezeichnet? Das könnte ich mich fragen. Eine betende, eine liebende, eine glaubende Frau. Nur vier Jahre habe ich sie erlebt. Heute – selber alt – spüre ich deutlicher denn je, dass meine Kinderseele eine Prägung bekam. Ein liebender, einladender Jesus wohnte darin. Dazu gehört wohl auch das Gebet, das meine Mutter abends mit uns Kindern betete: Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.
Der junge Pfarrer, der mich konfirmierte, malte weiter - farbig. Die Geschichte, wie die Jünger mit Jesus unterwegs waren. Doch – das möchte ich auch. Diese Sehnsucht blieb in mir. Ich suchte so ein Leben immer wieder, auch in meinen Auslandsjahren in der Schweiz und in Paris. Was ist mein Lebens-Sinn, wozu gibt es mich? Hießen die Fragen, die ich immer wieder bewegte und auch IHM – Gott - stellte.
Als ich im Herbst 1964 zu einer missionarischen Gruppe in Stuttgart eingeladen wurde, „Offener Abend“ nannte sie sich, staunte ich. Es gibt sie, heute, Jüngerinnen und Jünger Jesu. Sie leben, was sie glauben und laden ein zu Jesus, zu Gemeinschaft, zu Leben teilen in Gesprächen über Bibeltexte in Hauskreisen, zu Reisen, zu Sport, zum Spenden (10% des Verdienstes für Arme, z.B.) … auch zu erfahren wie froh machend eine bereinigte Lebensgeschichte sein kann. Bereinigen? Was? Da hatte ich doch mal gebetet: Lieber Gott, wenn ich durch die Handelsschulprüfung durchkomme, dann stelle ich dir mein Leben zur Verfügung. Kam durch die Prüfung. Schrieb als noch nicht ganz Siebzehnjährige an die Basler Mission, welche Voraussetzungen nötig sind, um auf’s Missionsfeld, z.B. Afrika, zu gehen. Antwort: Pädagogische oder Krankenpflege-Ausbildung. Ging nicht. Also konnte ich es vergessen.
Wie wär’s mit einem Diakonischen Jahr in der Communität Christusbruderschaft, wurde ich vom Leiter des „Offenen Abends“ gefragt. Lieber wäre ich mit Aktion Sühnezeichen in einen Kibbuz nach Israel, schien mir abenteuerlicher. Doch ich verstand bereits, dass es jetzt darum geht, wie damals bei den Jüngern, heute ein Jahr zu schenken, ohne Ego-Gewinn. Februar 1967 begann ich mit dem Diakonischen Jahr und im März trat ich ins Kloster ein. Die biblische Geschichte vom großen Hochzeitsmahl mit dem Typen, der das Festkleid nicht angezogen hatte, überführte mich. Der Satz aus einem Buch, dass Gott manchmal durch die Tür komme, die man zuschlagen möchte, war der Auslöser! „Alles, bloß nicht Schwester werden!“ Mein Ja glich einem Sterben und einem Aufstehen in ein neues Leben, in meinen Lebenssinn.
Nach 57 Jahren hat sich nichts daran geändert. Wie sieht das Berufungsportrait heute aus? Hat das Bild in der Seele vom einladenden, liebenden Jesus diesen Jahren Gestalt gegeben? Für meinen Grabstein wählte ich das Wort: Gesinnt wie Jesus. Dafür öffne ich mich an jedem Morgen. Gesinnt sein wie er und sinnlich schön, kann ich dann in Blumensträußen ausdrücken. Gesinnt sein wie er und sinnsuchend kann ich mich in Seelsorgegesprächen und Geistlicher Begleitung erleben. Gesinnt sein wie er und den Vater preisen kann ich in unseren täglichen Gebetszeiten. Gesinnt sein wie er kann ich in der Schöpfung feiern. Zum Bild des einladenden, liebenden Jesus hat sich neben vielen anderen Bildern und Erfahrungen in den letzten Jahren die Wirklichkeit des neuen Jerusalems gefügt. Wohnen, die Dreieinige Gottesliebe und wir – viele, Unzählige – da sein, leben im „Heilig, Heilig, heilig ist der Herr Zebaoth…“ Unbeschreiblich.
Dann wieder von vorne, klein beginnen mit meinem zur Zeit ersten Gebet des Tages:
Am Morgen dieses neuen Tages stelle ich mich bewusst in dein Licht.
Ich öffne mich deiner Wirklichkeit. Ich strecke mich aus nach dir
und sammle mich ein in meinen Gedanken, meinem Reden, meinen Gefühlen.
Ich öffne mich Dir und empfange… und sammle mich wieder in meiner Mitte.
Und ich teile davon aus: Nach rechts zu den Menschen, die mir nahe sind
und nach links zu den Menschen, mit denen ich mich
schwer tue, die eine Herausforderung für mich sind.
Und kehre zurück zur Mitte.
Ich suche Gott auch in der Tiefe… Und sammle mich wieder ein.
So werde ich still, um auf dich zu lauschen und um das Geheimnis zu ergründen: wer bist du in mir? Und wer bin ich in dir? Amen.
(Gebet von Anne Mayer-Thormählen)