Im Religionsunterricht hatten meine Kolleginnen und ich zum Thema „Frieden machen – aber wie?“ eine ältere Dame als Zeitzeugin eingeladen. Sie erzählte von ihrer Kindheit in Potsdam. Wie das war als Sechsjährige. In den Bombennächten. Im Keller. Wie ihre Mutter erzählt und vorgelesen und gesungen hat. Wie sie sich als kleines Mädchen, am Anfang auf die Nächte im Keller gefreut hatte, weil man da länger aufbleiben durfte und die Mutter sich so viel Zeit nahm. Sie erzählte von ihrer Schwester, die in der Schule nicht mehr den Hitlergruß zeigen wollte, weil die Männer in den Uniformen die Familie eines Freundes mitgenommen hatten. Sie erzählte von der Flucht aus Potsdam. Von dem Zug der von Potsdam Richtung Westen fuhr. Sie wollten weg, zu Verwandten und kamen nicht weit. In der Nähe von Rathenow wurde der Zug beschossen. Nur wenige Wagen hinter ihnen. Panik! Die Menschen versuchten in naheliegenden Häusern unterzukommen. Es war eine große Unruhe. Ein hin und her. Marie Luise (so heißt diese ältere Dame), ihre Schwester, das Baby und die Mutter hatten nur eine kleine Ecke in einem vollen Raum zum Schlafen. Es roch nach Angst. Menschen heulten. Kinder schrien. Da sagte die Mutter: „wir singen jetzt!“ Und sie sangen „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden…“ Als die ältere Dame mit leiser Stimme anfing, dieses Lied zu singen, war es sehr still im Klassenzimmer. Auch damals hatten sie gesungen, bis alles still war. Die ältere Dame erzählte von der weiteren Flucht. Von einem freundlichen amerikanischen Soldaten, wie der Vater wieder kam, vom Hunger in Berlin und vieles mehr.
Nach dem Erzählen baten wir die Schülerinnen und Schüler ihr „Bild im Kopf“ zu kritzeln. Sie sollten wenigstens zehn Minuten nachdenken über ein Lebenszeugnis, bevor wieder viele Worte kommen. Die Bilder legten wir dann, wie in einem Zeitstrahl, auf den Fußboden und erzählten uns unsere Bilder.
Klar, dass die Bombe auf den Zug und das Abendlied auch bei den „Bildern im Kopf“ dabei waren. Ein Bild hat mich besonders berührt. Man sieht viele Köpfe von hinten, dunkel, oft nur angedeutet und dann eine Mutter und zwei Mädchen mit Zöpfen, ernste Mienen, angemalt mit leuchtendem Gelb und um die Köpfe schweben, auch in leuchtendem Gelb, Notenzeichen – fast wie ein Heiligenschein. Die Schülerinnen und Schüler meinten, „das ist ein Bild wie in Kirche!“ Gänsehautmoment! Da waren sie, die „Kinder des Lichts!“
Wir hatten gespürt, wie das Lied und das gemeinsame Singen und vermutlich auch der Adressat der Gesänge, das Leben und die Erinnerung unserer Zeitzeugin getragen hat und dass da etwas ist, was jetzt noch leuchtet, mitten aus dem ganzen Schlimmen, nach so vielen Jahren.
Ihr seid Licht – Ich denke nicht, dass die Marie Luise oder ihre Mutter sich an diesem Abend damals vorgenommen hatten Licht zu sein, oder etwas besonderes zu tun. Sie haben in einer äußerst bedrohlichen Situation das getan, was sie vermutlich jeden Abend getan haben als christliche Familie. Sie haben ihr Abendlied gesungen, „Herr bleibe bei uns!“ Sie wollten nicht allein sein in der Dunkelheit. - Und es leuchtete bis in unseren Klassenraum.
Ihr seid Licht! – lassen wir uns nicht irre machen, tun wir, was wir als Christen tun, singen und beten und gerne mehr:
Führt also euer Leben, wie Kinder des Lichts
9 Denn das Licht bringt als Ertrag
lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. –
10Prüft also bei allem, was ihr tut,
ob es dem Herrn gefällt!
11Und beteiligt euch nicht an Taten,
die der Finsternis entstammen und fruchtlos sind.
Deckt vielmehr solche Taten auf!
12Denn es ist eine Schande, auch nur von dem zu reden,
was manche im Verborgenen tun.
13Aber alles, was aufgedeckt ist,
wird dann vom Licht erleuchtet.
14Und alles, was vom Licht erleuchtet ist,
wird selbst zum Licht.
Deswegen heißt es:
»Wach auf, du Schläfer, und steh auf vom Tod!
Dann wird Christus dein Licht sein.«
Eph 5,8 ff BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Andreas Lindauer
Mitglied in der Tertiärgemeinschaft