O Gott, du frommer Gott

Auf den Spuren eines fast vergessenen Gesangbuchliedes nimmt uns Gottfried Greiner mit hinein in seine Gedanken und zeigt wie fast Vergessenes hoch aktuell sein kann.

Hilf, dass ich rede stets,
womit ich kann bestehen;
lass kein unnützlich Wort
aus meinem Munde gehen;
und wenn in meinem Amt
ich reden soll und muss,
so gib den Worten Kraft
und Nachdruck ohn Verdruß.

Das Lied „O Gott, du frommer Gott“ (EG 495) ist fast 400 Jahre alt. Aber gerade die 3. Strophe ist von berührender Aktualität. Wie viele unnütze Worte gehen täglich über meine Lippen. Manchmal sind sie einfach nur überflüssig. Allzu oft aber auch ironisch und verletzend. Dass Menschen zu viel reden und unpassende Kommentare von sich geben war schon immer ein Problem. Durch die sozialen Medien verbreiten sich die „unnützen Worte“ in Windeseile. Oft wird dann aus einer anfangs harmlosen Bemerkung ein regelrechter Shitstorm. Ganz zu schweigen von den bewussten Demütigungen, Beleidigungen und Lügen. Es scheint, dass die ganze Gesellschaft – von den Jugendlichen in der Schule bis zu den Verantwortungsträgern in der Politik – von diesem Virus des Schlecht-Redens infiziert ist.
Martin Luther hat in seinem Kleinen Katechismus die Zehn Gebot ausgelegt. In seiner Auslegung zum 8. Gebot – Du sollt nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten – gibt er eine Richtung an, die unser Reden – zumindest das von uns Christen – achtsam und heilsam machen würde. Auf die Frage „Was ist das?“ gibt er die Antwort: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, …“
Das wäre ja schon mal ein ordentlicher Umgang miteinander! Aber Luther wendet das Verbot („Du sollst nicht …“) in ein Gebot, in eine positive Haltung: „… sondern sollen ihn (den Nächsten) entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“ Gewiss geht es Luther nicht darum, etwas schön zu reden. Da ist er viel zu realistisch. Und er konnte ja selbst auch ziemlich poltern. Aber die Grundhaltung gegenüber dem Nächsten ist die Liebe. Und wer den anderen liebt, wird ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und das Beste auch aus den Fehlern machen. „Gutes reden“ heißt wörtlich übersetzt „eulogein“ im Griechischen und „benedicere“ im Lateinischen. Beide Worte bedeuten auch „segnen“. Wenn wir Gutes reden ist das also immer auch ein Segen, den wir anderen zusprechen.
Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Schwester über das Autofahren unterhalten. Natürlich kamen wir auch darauf, was die anderen alles falsch machen und worüber wir uns aufregen. Da sagte die Schwester: „Ich versuche, die anderen Verkehrsteilnehmer immer zu segnen, statt mich aufzuregen und zu ärgern! Das tut mir gut und wahrscheinlich auch dem anderen!“
Manchmal muss ich beim Autofahren viel segnen! 
„… entschuldigen, Gutes reden und alles zum besten kehren“ – das tut mir und dem Nächsten gut.

 

Pfr. i.R. Gottfried Greiner, Tertiärgemeinschaft