Gegenwärtig gibt es in Deutschland etwa 21 evangelische Kommunitäten, in denen Schwestern und Brüder nach den drei evangelischen Räten Armut, Keuschheit und Gehorsam leben. Sie sind in der „Konferenz evangelischer Kommunitäten“ (KevK)verbunden. Zudem gibt es das Treffen geistlicher Gemeinschaften (TGG), die Familien-Kommunitäten sind oder sowohl einen zölibatären als auch einen Familienzweig haben. So ist insgesamt von etwa 60 evangelischen Gemeinschaften und Kommunitäten auszugehen.
Warum hat es überhaupt den Weg der Anerkennung gebraucht?
Die Kritiker evangelischer Gemeinschaften, die es bis weit in die 1960er Jahre in einer signifikanten Anzahl gab, beriefen sich unumwunden auf Martin Luther: Hatte der Augustinereremit nicht sein Habit abgelegt und schließlich auch die Orden als solche verworfen und stattdessen das Priestertum aller Glaubenden für die geistliche und die Ehe für die weltliche Beziehung stark gemacht? War damit nicht ein für alle Mal jedwedes Ordensleben mit lutherischen Positionen unvereinbar?
In der Tat hat Luther deutliche Worte für das Ordenswesen seiner Zeit gefunden. 1520 hielt er in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ gar fest, dass es dem „Bapst verpotten werden [sollte], mehr solcher orden aufftzusetzen odder bestetigen, ja, [ihm solle] befohlen werden, etlich abetzuthun.“ Zudem sollten aus den Klöstern Schulen gemacht werden, um dort „schrifft und zucht nach Christlicher weysze“ zu lehren. Wurden die Klöster allerdings nicht aufgehoben, sollte es ermöglicht werden, dass alle, die dort lebten, immer frei seien, ohne Probleme wieder auszutreten, heißt: Die Gelübde sollten sie nicht dazu zwingen, auf ewig im Kloster bleiben zu müssen.
Nicht die Orden waren also das Problem, sondern die Gelübde. 1521 erklärte Luther in seiner großen Schrift über die Ordensgelübde (De votis monasticis iudicium), dass alle Menschen aus der Taufe „gekrochen“ seien; alle also gleich nah bei Gott seien. Was bräuchte es da noch die Ordensgelübde – zumal die eh zumeist genutzt wurden, um in unzulässiger Weise zwischen den Starken im Glauben (Ordensmenschen) und den Schwachen (alle anderen) zu unterscheiden. Und überhaupt widersprach die Rechtfertigungslehre doch allen Bemühungen, Gott durch eine wie auch immer geartete Lebensweise gnädig zu stimmen. Tatsächlich hatte doch Luther 1520 in der „Freiheit eines Christenmenschen“ festgehalten, dass Gott seine Gnade einfach so schenke – und diese Gnade genüge. Ordensgelübde seien also falsch und leer. So steht es auch in der „Confessio Augustana“ von 1530 – und damit in dem Bekenntnis, auf das noch heute alle evangelischen Pfarrpersonen ordiniert werden.
Warum gibt es trotzdem Orden in der evangelischen Kirche?
Luther hat nicht nur auf die Gelübde geschimpft, er hat auch nach einem Ort gesucht, an dem Menschen „ernsthaft Christen sein“ könnten. Das war für ihn der Alltag. Das war aber allemal auch eine Ordensgemeinschaft. Bei aller Kritik konnte nämlich auch Luther nicht ausschließen, dass Menschen „um des Himmelreichs willen verschnitten“ seien und deshalb in Ordensgemeinschaften lebten. Und mehr noch: Er konnte auch nicht ausschließen, dass bis dato ebenso „vil heiliger leut mit rechter meinung in clostern gelebt“ hätten – wie er 1536 notiert hat.
Also gab es fortan an immer Experimente des gemeinsamen Lebens in der evangelischen Kirche: Unter dem Stichwort des „sozialen Protestantismus“ lassen sich die Diakonissengemeinschaften verorten, welche verstärkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden. In einer Zeit, die von Massenarmut geprägt war, stellte sich die Frage nach dem sozialen Auftrag der evangelischen Kirche mit großer Dringlichkeit. Beantwortet wurde diese durch die Gründung zahlreicher wohltätiger Vereine und schließlich auch von Diakonissenhäusern. Frömmigkeit und tätige Nächstenliebe sollten zusammen gesehen werden, und gerade Frauen eröffnete sich hier ein neues Betätigungsfeld jenseits der Familie. Entsprechende Häuser und Einrichtungen entstanden zunächst in Hamburg (1833), Kaiserswerth (1836) und in Neuendettelsau (1853). In den Häusern lebten die Frauen nicht mit Gelübden, wohl aber gab es eine „Einsegnung“ und – bis in die heutige Zeit – der Versuch, ungeachtet der intensiven Arbeit auch gemeinschaftlich zu leben.
Und auch der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer steht für gemeinsames geistliches Leben: Für sein „Brüderhaus“, dem Predigerseminar in Finkenwalde, hatte Bonhoeffer eine klare Zielvorstellung, die er in einem Brief an Karl Barth vom 19. September 1936 festgehalten hat: „Wie lerne ich beten? Wie lerne ich die Schrift lesen?“. Diese Fragen sollten geklärt werden. Bonhoeffer war davon überzeugt, dass dies durch gemeinsames Leben und Beten gelang. Gleichzeitig sollte „ernsthafteste saubere theologische, exegetische und dogmatische Arbeit getan“ werden, aber dies sollte nicht dazu führen, die Sehnsucht nach dem Gebet zu überhören. „Wie steht es mit deiner Seele?“, blieb also die entscheidende Frage, weil die Seele durch das gemeinsame Leben und Arbeiten genährt werden sollte. In Finkenwalde gingen nun Ausbildung und geistliches Leben zusammen, Nachfolge war in allen Kursen ein wichtiges Thema. Doch am 29. August 1937 wurde das Seminar durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler verboten, aber dennoch bis 1940 in Form von Sammelvikariaten fortgesetzt.
Orden in der evangelischen Kirche!
In den Communitäten, die schließlich verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden, hat das gemeinsame geistliche Leben schließlich eine neue Gestalt gefunden. Es entstanden zunächst die evangelische Marienschwesternschaft (1947), der St. Johannes-Konvent vom Gemeinsamen Leben (1947), die Christusbruderschaft Selbitz (1949), die Communität Casteller Ring (1950), die Kommunität Imshausen (1955) und in den 1960er Jahren die Christusträger (1961), die Jesus-Bruderschaft Gnadenthal (1961) und die Kommunität Adelshofen (1962). Die Erschütterung durch den Ersten, mehr aber noch durch den Zweiten Weltkrieg trug nachhaltig zur Gründung der evangelischen Gemeinschaften bei.
Heute stehen Communitäten innerhalb der evangelischen Kirche nicht mehr zu Disposition. Und mehr noch: In ökumenischer Verbundenheit pflegen sie Freundschaften über alle Konfessionsgrenzen hinweg und sind zugleich auch die „geistliche Heimat“ für Menschen aus ihrer eigenen Kirche. Damit tragen sie das reformatorische Erbe in ihrer jeweils ganz eigenen Konnotation weiter.